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Raubwürger

Raubwürger (Lanius excubitor)

Rote Liste Deutschland 2007: 2 (stark gefährdet)

 

Der Raubwürger ist in Mitteleuropa gegenwärtig ein oft nur noch punktuell verbreiteter Brutvogel. Sein Brutbestand in Mitteleuropa in Mitteleuropa wird auf 13.000 – 26.000 Paare geschätzt (Bauer et al. 2005). Bestandsschätzungen für Deutschland gehen von einem Brutbestand von 2.100 – 3.200 Paaren aus (Sudholdt et al. 2013).

In Europa gehen immer mehr Lebensräume für den Raubwürger verloren. Während sein Bestand in Westeuropa weiter sinkt, nimmt er in Ost- und Nordeuropa derzeit wieder zu. Da sich Mitte der 1980er Jahre trocken-wintermilde Jahre gehäuft haben, in denen sich die Ernährungssituation durch ein großes Angebot an Insektennahrung verbessert hat und parallel neue Flächen mit beginnender Gehölzsukzession (Flächen mit Nutzungsaufgabe, Brachfallen von Truppenübungsplätzen, deutsch-deutsche Grenzstreifen, Windwurfflächen) entstanden sind, konnte sich der Bestand festigen.

Verbreitung

Der Raubwürger kommt mit etwa 20 Unterarten in allen Klimabereichen seines Verbreitungsgebiets in Höhenlagen bis 1.000 m vor. Dieses reicht von den Kanarischen Inseln bis nach Nordostsibirien, China und die Mongolei, sowie über Afrika und die arabische Halbinsel bis in weite Teile Europas und in Nordeuropa sogar bis an die Baumgrenze.

Halboffene Landschaften

Der bevorzugte Lebensraum des Raubwürgers ist die halboffene Landschaft. Sein Habitat zeichnet sich durch verschiedene Vegetationshöhen und Nutzungsarten sowie durch eine hohe Wartendichte aus. Niedrige Büsche, einzelne höhere Bäume und gehölzfreie Flächen mit einer niedrigen Vegetationsdecke wechseln einander ab. Zahlreiche Kleinstrukturen wie Baumreihen, Hecken, Steinriegel, Brachestreifen, kleine Vermoorungen und sumpfige Wiesen sind mosaikartig miteinander verbunden.
Übersicht bietende Hangrücken und Kuppen mit Sitzwarten für die Jagd in sonnenbegünstiger und störungsarmer Lage werden bevorzugt. 

Einen geeigneten Lebensraum findet er zumindest für eine begrenzte Zeit auch auf Windwurfflächen und Waldflächen, die sich in primären Sukzessionsstadien befinden.

Das Revier muss von den Warten aus gut zu übersehen sein. Die Warten sind im Brutrevier durchschnittlich etwa 30 m voneinander entfernt, im Winterrevier dagegen durchschnittlich 45 m.

Winter

Die Winterreviere sind offener als die Sommerreviere, befinden sich oft in deren Nähe oder schließen sie mit ein und haben einen höheren Anteil an Brachen. Sie sind mit 50 ha deutlich größer als die Sommerreviere, die 35 ha groß sind. Ein sowohl im Sommer als auch im Winter genutztes Revier ist mit 60 – 70 ha am größten. Bleibt die Revierqualität erhalten, nutzen Raubwürger jedes Jahr annähernd die gleichen Teilflächen in ihrem Revier.

Die Überwinterungsbestände unterliegen einer eigenen Dynamik, da es sich um Tiere der nördlicheren und der hiesigen Brutvögel handelt. Die Entwicklung ist hier ähnlich mit derjenigen im Brutgebiet, der Rückgang des Bestandes ist aber weniger ausgeprägt. Da in vielen Teilen Deutschlands gefiederte Wintergäste ausbleiben, muss davon ausgegangen werden, dass die Vögel der nördlichen Populationen nicht mehr wegziehen, sondern im Umfeld ihrer Brutgebiete bleiben.

Zerstörung des Lebensraumes

Verbuscht ein Revier zunehmend, ist das für den Raubwürger auf lange Sicht ungünstig. Zwar erhöht sich zunächst die Anzahl der Warten, was mitunter positiv sein kann. Werden aber die Gehölze zu dicht, werden sie wegen der begrenzten Sicht und Jagdmöglichkeit wieder gemieden. Auch auf Brachflächen wirkt sich zu hoher und zu dichter Pflanzenwuchs negativ aus. In diesem Fall gibt es weniger Nahrung, das Beutespektrum verringert sich, Beutetiere sind schlechter erreichbar und auch die Treffsicherheit beim Beutestoß nimmt ab.

Fichtenwälder im Lebensraum des Raubwürgers wirken u.U. als optische
Barriere zu den Nachbarrevieren, so dass der erforderliche „soziale“ Kontakt zu Artgenossen abbricht und er sein Revier aufgibt. Dieser soziale Aspekt wird in der Diskussion bei der Gefährdung von Arten noch zu wenig berücksichtigt.

Die Ursache für das Schrumpfen der mitteleuropäischen Brutpopulation liegt in den Veränderungen der Lebensräume. Beispielsweise sind Streuobstbestände mittlerweile völlig überaltert und werden zunehmend gerodet. Feuchtgebiete verschwinden weiterhin durch Kultivierung, Aufforstung und Verbauung. Die Landschaft wird durch Verkehrswege und Bebauung zersiedelt. Die Nutzung von Flächen wird aufgegeben, worauf sich sehr schnell strukturell ungünstige Pflanzenbestände entwickeln.

Wenn Flächen intensiv genutzt werden, führt das zu Nahrungsmangel, da unter Umständen Gifte eingesetzt werden. Die Biotopdiversität geht zurück, der Boden wird durch einen hohen Stickstoffeintrag übersättigt, wodurch nur wenige Pflanzenarten dicht und schnell wachsen. In der Folge bilden Mäuse – die wichtigste Nahrungsgrundlage des Raubwürgers – auf Intensivgrünland nur noch spärliche bzw. unzureichende Bestände. Dies alles wirkt sich ungünstig auf den Raubwürgerbestand aus.

Klima

Eine bedeutende Ursache für den Verlust von Gelegen und Jungvögeln des Raubwürgers ist nasskalte Witterung. Besonders extreme, kalte Winter und regenreiche Sommer fordern viele Opfer.

Überwinterung

Dass immer weniger Raubwürger in traditionellen Gebieten in Deutschland überwintern, kann daran liegen, dass die Überwinterungsgebiete nach Norden hin durch die zunehmend milden Klimaverhältnisse verlagert werden. Werden die Tiere nach einer Reihe milder Winter von einem sehr strengen Winter überrascht, kann es vor allem bei den weit nördlich überwinternden Vögeln zu großen Verlusten kommen. Bis sich ein zusammengebrochener Bestand wieder erholt hat, können Jahrzehnte vergehen.

Lebensraum erhalten

Um die Brutbestände der Raubwürger zu erhalten, müssen großflächig extensiv genutzte und reich strukturierte Kulturlandschaften erhalten bleiben und Störungen durch Menschen und natürliche Feinde verhindert werden. Hierzu eignen sich u.a. die

  • Anpflanzung von Hecken und Einzelbäumen in potenziell geeigneten Lebensräumen,
  • die Wiedervernässung und Beweidung trocken gelegter Wiesenareale,
  • die Einrichtung von Pufferzonen gegenüber traditionellen Brutgebieten,
  • die Schaffung von Sichtschneisen in Aufforstungsflächen sowie die Unterbindung der exzessiven Aufforstung von brachgefallenen Grünlandgebieten und
  • die Erhaltung offener, unbefestigter Wege mit mageren Wegböschungen und Feldrainen.

Als Art der Vogelschutzrichtlinie unterliegt der Raubwürger zudem den strengen Schutzvorschriften des § 44 des Bundesnaturschutzgesetzes.

Systematik

Ordnung: Passeriformes (Singvögel)
Familie: Laniidae (Würger)

Aussehen

Der Raubwürger ist so groß wie eine Amsel und damit unsere größte heimische Würgerart. Sein schwarz-weiß-graues Gefieder ist auffällig. Auf Kopf und Rücken ist er grau und auf der Unterseite weiß oder hellgrau gefärbt. Schwarz sind die zwei mittleren Schwanzfedern, die Flügel und ein Streifen, der von der Schnabelbasis über das Auge bis auf die Halsseiten reicht. Der Augenstreif wird oberhalb von einem feinen weißen Strich begrenzt. Je weiter außen die Schwanzfedern liegen, umso weißer werden sie von ihrer Spitze her. Dabei ist die äußerste Schwanzfeder fast ganz weiß. Auch die Spitzen der Flügelfedern sind überwiegend weiß. So sind im Flug im Bereich der Handschwingen auf der Flügeloberseite zwei weiße Flügelspiegel zu sehen.

Weibchen sind meist weniger kontrastreich gezeichnet als Männchen, häufig ist eine leichte Sperberung im Brust-, Flanken- und Nackenbereich erkennbar. Ansonsten unterscheiden sich die Geschlechter äußerlich nicht. Das erste Jahreskleid der Jungvögel ist auf der Oberseite braungrau gefärbt und auf der Unterseite graubraun wellig gemustert. Die Kopffärbung ist deutlich matter.

Der Raubwürger hat einen falkenähnlichen Schnabel, der eine zusätzliche Einkerbung am Oberschnabel, den „Falkenzahn“, besitzt. Damit kann er Beute besser festhalten und zerkleinern.

Fortpflanzung

In Gebieten, in denen die Vögel ganzjährig leben, ist Dauerehe häufig. Im nördlichen Teil des Verbreitungsgebiets ist sie dagegen seltener, weil ein Teil der Altvögel auf dem kräftezehrenden Zug in die südwestlichen Überwinterungsgebiete ums Leben kommt. Den Winter verbringen die Brutpartner getrennt in meist benachbarten Revieren. Die getrennten Reviere sind wichtig, damit sich beide Tiere in der nahrungsärmeren Winterzeit ernähren können.

Raubwürger legen ihre Eier meist im April/Mai. Nachdem der Nestbau abgeschlossen ist, legen sie rasch ihre Eier. Ist es sehr kalt oder regnet es, kann die Eiablage bis zu 16 Tage verzögert werden. Das Nest ist sehr stabil und wird aus Ästen, Zweigen, Stengeln, Moos und feinen Pflanzenfasern gebaut. Bis beide Partner das Nest fertiggestellt haben, können bis zu 2 Wochen vergehen.

Ist die Brut erfolgreich, werden Nester mehrere Jahre hintereinander benutzt oder zumindest im selben Baum oder Busch neu angelegt, wobei Raubwürger größere dichte Büsche und Bäume bevorzugen. Raubwürger bauen ihre Nester gerne in der Nähe von Wacholderdrosselnestern, um von deren aggressiver Feindverteidigung zu profitieren.

Raubwürger, die brüten oder ihre Nestlinge füttern, verhalten sich sehr unauffällig. Das führt dazu, dass sie zur Brutzeit trotz besetzter Reviere weniger häufig beobachtet werden als im zeitigen Frühjahr bei der Balz. Ende Juni, vor allem aber im Juli und August, wenn die Jungen ausgeflogen sind, sieht man sie wieder häufiger.

Die Größe ihrer Gelege schwankt zwischen 3 und 8 Eiern. Die Jungen werden, nachdem sie 15 – 18 Tage ausgebrütet wurden und etwa 20 Tage im Nest verbracht haben, flügge. Anschließend führen die Elternvögel sie 20 – 40 Tage lang durch das Brutrevier.

Nahrung

Massenvermehrungen und Zusammenbrüche von Feldmauspopulationen üben einen auffälligen Einfluss auf die Anzahl der Raubwürger im Sommer und im Winter aus. Die Kleinsäugernahrung ist demnach das ganze Jahr über von großer Bedeutung für den Raubwürger.

Viel eher verläßt der Raubwürger sein Revier, wenn die Nahrung knapp wird. Wenn er dennoch Vögel fängt, sind dies meist Wintergoldhähnchen, Blaumeisen, Tannenmeisen, Pieper, Goldammern, Finken, Lerchen, Gimpel, Erlenzeisige und sogar Schwalben.

Der Raubwürger erspäht seine Beute überwiegend von erhöhten Warten. Den größten Teil seiner Beute schlägt er auf dem Boden. Lediglich große Insekten verfolgt er im Flug oder liest sie im Rüttelflug von den Blüten ab. Durch den Rüttelflug grenzt er vor allem sein Revier ab. Dies stellt eine Alternative zum „Wartensitzen“ dar. Dichtere Gehölze, vor allem Dornsträucher, werden als Warten genutzt. Sie dienen als Schutzschild vor Feinden und bieten die Möglichkeit, darin vor allem in der Brutzeit Nahrungsspeicher anzulegen, indem Beute aufgespießt oder eingeklemmt und bei Bedarf verfüttert wird.

Als „Vorratsnutzer verschmäht der Raubwürger auch Tiere nicht, die er bereits tot vorfindet. Gerne erbeutet er große Käfer wie Maikäfer, Mist- und Aaskäfer, deren Flügeldecken er meist schon vor dem Verzehr löst. Wenn dies nicht geschieht, werden die unverdaulichen Reste in Speiballen wieder ausgewürgt. Auch Hautflügler wie Hummeln, Bienen, Wespen und Hornissen frisst er regelmäßig.

Wenn auf Wiesenflächen keine Warten vorhanden sind, sucht er sie nach der Mahd im Rüttelflug nach Nahrung wie Heuschrecken und Fliegen ab. Gelegentlich wird er auch auf Aas größerer Säugetiere beobachtet, die nach der Kreiselmähermahd auf der Wiese verblieben sind.

Natürliche Feinde

Brutvögel werden durch die Anwesenheit von Luft- oder Bodenfeinden gestört. Wenn sich ihre Feinde bereits auf 250 – 200 m annähern, beginnen sie anhaltend zu warnen und stellen die Nahrungssuche ein. Erst nach etwa 10 min nehmen sie ihre normale Tätigkeit wieder auf. So kann der Bruterfolg schon sinken, wenn sich häufig Feinde in ihrer Nähe aufhalten. Zudem kann Unterernährung der Reviervögel, insbesondere aber der Nestlinge die Folge sein.

In der Regel verlässt der Raubwürger seine Ansitzwarte, sobald jagend Sperber, Habichte, Baum- und Turmfalken sowie Kolkraben in Sichtweite kommen und ergreift die Flucht. Schnell verbirgt er sich im Innern einer Hecke oder in einem dicht beasteten Baum.

In der Brutphase attackieren Raubwürger ihre natürlichen Flugfeinde, man sagt auch, sie „hassen“ auf sie, und versuchen, sie mit Verfolgungsflügen zu vertreiben. Sie beenden die Angriffe auf diese Feinde erst, wenn die Jungen selbständig geworden sind. Auch der Waldkauz scheint eine Gefahr für die Altvögel darzustellen.

In manchen Gebieten konkurriert der Raubwürger mit dem Turmfalken um die
Sitzwarten, wobei er oft unterliegt und sein Reviere aufgibt.

Verhalten

Raubwürger brauchen den Kontakt zu weiteren Artgenossen in den besetzten Nachbarrevieren. Deswegen werden geeignete Lebensräume, die aber isoliert liegen, eher aufgegeben als Reviere in subotimalen, aber in Kontakt zu weiteren Artgenossen stehende Reviere. Obwohl Raubwürger ihr Revier verteidigen, benötigen sie die Nähe anderer besetzter Reviere.

Ihre Rufe, die aus verschiedenen Elementen bestehen und sich u.a. anhören wie „wäd wäd wäd“, tragen sie von einer Warte aus vor.

Normalerweise zieht nur ein Teil der bei uns brütenden Raubwürger zum Überwintern in südwestliche Richtung. Im Gegensatz zum Neuntöter zieht der Raubwürger tagsüber, wobei Tiere mitteleuropäischer Populationen nach Süd- und Südwesteuropa (Italien, Frankreich, z.T. auch Deutschland) fliegen. Je milder die Winterzeit ist, umso eher bleiben heimische Tiere das ganze Jahr über in ihren Brutgebieten. Der Wegzug beginnt im September und  erreicht im Oktober seinen Höhepunkt. Vögel, die aus noch weiter nördlich gelegenen Brutgebieten stammen, treffen bereits im November in Deutschland ein, um hier zu überwintern.

Die Tiere verhalten sich in ihrem Winterrevier territorial; Männchen und Weibchen haben getrennte Reviere, die je nach Nahrungsangebot und Witterungsbedingungen zwischen 40 und 100 ha groß sind. Im Winter sind Raubwürger weniger an bestimmte Landschaftsteile gebunden und können flexibler auf wechselnde Wetterverhältnisse und Nahrungsangebote reagieren. Stellen, an denen früh der Schnee schmilzt, haben eine große Bedeutung für den Nahrungserwerb.

Haben Raubwürger ihr Winterrevier einmal gewählt, halten sie daran oft auch unter ungünstigeren Bedingungen fest, da die Suche nach einem Ausweichquartier unter Umständen mehr Energie kosten kann als das Ausharren im bereits besetzten Revier. Erst bei starkem Schneefall, wenn Mäuse nur noch schwer zu fangen sind und sogar Singvogelschwärme flüchten, weichen sie in tiefere Lagen aus. Dann sieht man sie auch in Ortsnähe. Winterflüchter kehren entweder direkt nach einer Wettermilderung in ihre Hochlagenreviere zurück oder sie verbleiben so lange im Ausweichrevier, bis sie von dort direkt zurück ins Brutrevier ziehen.

Im April kehren die Raubwürger in ihre Brutreviere zurück. Auch Durchzügler sind jetzt dort zu sehen. Die nordischen Überwinterer ziehen offensichtlich meist vor den Heimkehrern weg, was Energie spart, da so unnötige Revierstreitigkeiten vermieden werden können. Es gibt Gebiete in Deutschland, die Raubwürger zwar zum Überwintern, aber nur wenig oder gar nicht zum Brüten nutzt. Es gibt ferner Gebiete, die räumlich getrennt sowohl Brut- als auch Überwinterungsgebiete aufweisen. Das kann seine Ursache darin haben, dass sich die nordischen Tiere zum Überwintern für andere Gebiete entschieden haben als die heimischen Brutvögel.

Je nachdem, welche Bedeutung ein Gebiet als Brut-, Durchzugs- oder Überwinterungsgebiet hat, ist die Revierpräsenz der Raubwürger das Jahr über sehr unterschiedlich. Wird ein Gebiet nur als Überwinterungsgebiet genutzt, kommen die Vögel im September/Oktober dort an und verlassen es im März/April wieder.